Kultur

Museum Gugging: Art-brut

Text: Emely Nobis

Das Museum Gugging in Maria Gugging bei Wien spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Art-brut-Kunst. Zu sehen ist eine Auswahl herausragender Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Objekte von Gugginger Künstlern sowie anderen Vertretern des Art-brut.
Museum Gugging

Museum Gugging © FREN Media, Frits Roest

Art-brut ist der Begriff des französischen Künstlers Jean Dubuffet für originale Kunst, die ohne akademischen oder kunsttheoretischen Hintergrund entsteht. Mit anderen Worten: Kunst, die von einer sehr persönlichen und unangepassten Formensprache zeugt. Dabei handelt es sich meist um Werke von Menschen mit psychischen Problemen oder von Künstlern, die sonst außerhalb des offiziellen Kulturbetriebs stehen. So entstand auch die Sammlung des Museums Gugging, das sich auf dem Gelände eines ehemaligen psychiatrischen Krankenhauses befindet. Anfang der 1980er Jahre begann der damalige Direktor und Psychiater Leo Navratil, Kunsttherapie für Patienten anzubieten – zunächst als Beschäftigungstherapie. Als er entdeckte, dass einige Patienten künstlerisch begabter waren als andere, gründete er 1981 in einem leeren Quarantänepavillon das Zentrum für Kunst und Psychotherapie. Unter seinem Nachfolger, dem Psychiater und Künstler Johann Feilacher, entwickelte sich dieses Zentrum zu einer Wohngemeinschaft für Künstler – dem Haus der Künstler – mit Platz für besonders talentierte Bewohner. Um zu betonen, dass es sich nicht um ein soziales Projekt oder eine Beschäftigungstherapie handelte, hob er ihren Status als Patienten auf; von nun an sollten ihre Persönlichkeit und ihre Kunst im Mittelpunkt stehen.

Kopffüßler

‘Die Villa‘ auf dem Gelände in Gugging: ein Raum für Veranstaltungen

‘Die Villa‘ auf dem Gelände in Gugging: ein Raum für Veranstaltungen © FREN Media, Frits Roest

Ein halbes Jahrhundert später gehören die Künstler aus Gugging zu den wichtigsten Vertretern des Art-brut und ihre Werke sind in bedeutenden Museen und Privatsammlungen weltweit vertreten. Den besten Überblick über ihr Schaffen erhält man jedoch im wunderschön gelegenen Museum Gugging selbst, das nach dem Umzug des psychiatrischen Krankenhauses im Jahr 2008 entstand. Die Abteilung Gugginger Klassiker bietet eine Auswahl aus den herausragenden Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken und Objekten – sowohl figurativen Darstellungen als abstrakte Werke – der Gugginger Künstler der letzten 50 Jahre, darunter die erfolgreichen August Walla, Oswald Tschirtner, Johann Hauser, Rudolf Horacek und Leopold Stobl. Die Werke der mehr als 30 Künstler werden regelmäßig ausgetauscht, so dass es immer wieder Neues zu sehen gibt.

Beispiele von Gugginger Künstlern (von links nach rechts): Leopold Strobl, Ohne Titel; Oswald Tschirtner, Menschen; Rudolf Horacek, Rudolf in Mannswörth

Beispiele von Gugginger Künstlern (von links nach rechts): Leopold Strobl, Ohne Titel; Oswald Tschirtner, Menschen; Rudolf Horacek, Rudolf in Mannswörth © Privatstiftung – Künstler aus Gugging

Viele Gugginger haben einen unverwechselbaren eigenen Stil. Oswald Tschirtner (1920-1970) zum Beispiel ist bekannt für seine geschlechtslosen Kopffüßler: Darstellungen von Menschen, deren Rumpf fehlt oder stark geschrumpft ist und meist durch vier in die Länge gezogene Extremitäten umrissen wird. Es ist faszinierend zu sehen, wie viele verschiedene Ausdrücke und Emotionen er in die skizzenhaften Köpfe und Körperhaltungen zu legen vermag. Der gehörlose Franz Kamlander (1920-1999) wuchs auf einem Bauernhof auf. Seine Herkunft ließ er unter anderem in die zahlreichen Bilder von farbenfrohen Kühen einfließen: rot, gelb, blau oder klassisch schwarz-weiß. Typisch für das Werk des ältesten lebenden Künstlers Heinrich Reisenbauer (1938) ist die serigrafische Wiederholung eines Elements in unterschiedlichen, jedoch ähnlichen Formen. Ein Beispiel dafür sind die Sonnen an der Fassade des Museums selbst. Frauen und Erotik sind die vorherrschenden Themen im Werk von Karl Vondal (1953), der sich ebenfalls häufig der Assemblage bedient. Ernst Herbeck (1920-1991) wurde mit einer einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren und sprach schwer und schlecht verständlich. Die Tausende von Gedichten, in denen er sich auszudrücken vermochte, fanden in literarischen Kreisen große Resonanz.

Neben der Dauerausstellung bietet das Museum Gugging in wechselnden Ausstellungen auch Raum, um Werke anderer österreichischer und internationaler Vertreter der Art Brut zu zeigen oder weniger bekannte Aspekte von Guggings Kunst zu vertiefen (siehe Kasten zur aktuellen Wechselausstellung, zu Gugging als Inspirationsquelle für andere Künstler).

Aktive Gemeinschaft

Art-brut am Haus der Künstler

Art-brut am Haus der Künstler, Foto: FREN Media, Emely Nobis

Was Gugging abgesehen von seiner Lage im Grünen besonders macht: Es ist eine lebendige Gemeinschaft, mit neben dem Museum (mit Laden und Restaurant) auch eine Galerie, ein Atelier und (noch immer) das Haus der Künstler. Das bunt bemalte Gebäude – nur einen Steinwurf vom Museum entfernt – bietet derzeit 14 Künstlern eine Art betreutes Wohnen. Diejenigen, die aufgrund ihres Talents einen Platz in der Wohngemeinschaft erhalten, können dort auf Wunsch bis an ihr Lebensende wohnen – auch wenn sie nichts (oder nichts von ausreichender Qualität) produzieren. Wenn die Qualität stimmt, können die Werke über die Galerie verkauft werden oder in der Museumssammlung landen. Der Verdienst kommt den Künstlern selbst zugute, obwohl einige von ihnen einen Geschäftsvertreter haben, der ihre Finanzen verwaltet.

Die Art und Weise, wie Art-brut-Künstler mit ihrem Erfolg umgehen, ist sehr unterschiedlich. Einigen ist er völlig gleichgültig, andere genießen ihren Erfolg. Johann Fischer (1919-2008) zum Beispiel, bekannt für seine Bild-Text-Kombinationen, stellte seinen Arbeiten immer gerne aus. Wenn er dann seine eigenen Texte las, stellte er zufrieden fest: „Sehr gescheit was ich da geschrieben hab.“

Museum Gugging, Am Campus 2 in Klosterneuburg, museumgugging.at

Das Museum Gugging befindet sich etwa 20 Kilometer von Wien entfernt auf einer kleinen Anhöhe (in unmittelbarer Nähe des Instituts für Wissenschaft und Technik) in Maria Gugging in der Gemeinde Klosterneuburg. Das Museum ist von Wien aus entweder mit der U-Bahn/Bus, mit dem Auto oder mit dem Fahrrad zu erreichen. Informieren Sie sich hier über alle Möglichkeiten.

Gugging als Quelle der Inspiration

Von links nach rechts Brian Eno, David Bowie, der Gugginger Künstler Johann Gabler, Sänger/Schauspieler/Künstler André Heller. Im Hintergrund: eine Krankenschwester. Haus der Künstler. Gugging, 8. September 1994

Von links nach rechts Brian Eno, David Bowie, der Gugginger Künstler Johann Gabler, Sänger/Schauspieler/Künstler André Heller. Im Hintergrund: eine Krankenschwester. Haus der Künstler. Gugging, 8. September 1994 © Christine de Grancy, Courtesy Galerie Crone, Wien Berlin

Leben und Werk der Gugginger Künstler üben seit den 1960er Jahren eine große Anziehungskraft auf (internationale) Künstler aller Genres aus. Die Sonderausstellung Gugging inspiriert! Von bowie bis roth zeigt eindrucksvoll, wie Musik, bildende Kunst, Literatur, Fotografie oder Modedesign durch Künstler aus Gugging maßgeblich beeinflusst wurden. Ein unerwarteter „Fan“ ist zum Beispiel David Bowie. Er besuchte das Haus der Kunstler im Jahr 1995 und ließ sich für sein Album 1st Outside inspirieren. Die Ausstellung zeigt Schwarz-Weiß-Fotos von Christine de Grancy von David Bowies Begegnungen mit August Walla, Oswald Tschirtner und Johann Garber. Nette Anekdote: Ein Jahr nach seinem Besuch, im Februar 1996, lud Bowie die Gugginger Künstler zu einem Konzert seiner Outside-Tour in die Wiener Stadthalle ein. Nach einem Backstage-Besuch führte er sie persönlich zu ihren Plätzen und kam dann zurück, um ihnen Ohrstöpsel anzubieten, weil es laut werden würde.

Schriftsteller Gerhard Roth

Schriftsteller Gerhard Roth © Senta Roth

Der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth verewigte die Gugginger Künstler, mit denen er auch befreundet war, sowohl in seinem literarischen als auch in seinem fotografischen Werk. Die Fotografien, die als Erinnerungsstücke für sein literarisches Werk dienten, dominieren einen Roth gewidmeten Raum und verdeutlichen die enge Beziehung des Fotografen zu den Porträtierten. Der Tod des Autors im Jahr 2022 war daher ein großer Schock für die Bewohner des Hauses der Künstler.

Auch der österreichische Künstler Johann Rausch hat die Gugginger Künstler verewigt. Er verbrachte im Juli 2022 acht Tage im ehemaligen Zimmer von August Walla, das dieser vom Boden bis zur Decke (und inklusive Inneneinrichtung) bemalt hatte. Rauschs emotionale Goldene Porträts – Gemälde der drei Generationen von Gugginger Künstlern, die damals im Künstlerhaus lebten – sind ebenso Teil dieser informativen und visuell beeindruckenden Ausstellung wie Werke von Arnulf Rainer (der stets die Zusammenarbeit mit Gugginger Künstlern suchte) und dem schottischen Modedesigner Christopher Kane, der unter anderem Motive von Heinrich Reisenbauer und Johann Korec für seine Kollektionen übernahm.

Nina Ansperger, die neue künstlerische und wissenschaftliche Leiterin des Museums, hat mit dieser Wechselausstellung über Gugging als Inspiration eine inspirierende Visitenkarte abgegeben.

Gugging inspiriert! Von bowie bis roth, bis 24. September 2023. Zu der Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen. Erhältlich im Museumsshop.

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