Die Eismacher von Wien

Text: Emely Nobis  / Bild: Frits Roest

Eismacher aus Norditalien emigrierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Wien, um ihr Glück zu versuchen. Von der österreichischen Hauptstadt schwärmten sie dann in ganz Mitteleuropa aus.

 Apfelstrudel, Sachertorte, Marillenknödel… Die Vorliebe der Österreicher für ihre Mehlspeisen ist bekannt. Dennoch ist Österreich vielleicht sogar noch mehr eine Eisnation. In keinem anderen europäischen Land gibt es so viele Eisdielen: eine pro 15.000 Einwohner. Das ist sogar noch mehr als in Italien. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2013, aber angesichts des Booms neuer, trendy Eisdielen gab es in den letzten Jahren eher mehr als weniger. Das Zentrum der Speiseeisherstellung in Österreich war und ist Wien. Um 1850 kamen die ersten Gelatieri aus norditalienischen Alpentälern (vor allem aus dem Val di Zoldo und Val di Cador in den Dolomiten), in denen damals Hungersnot und Arbeitslosigkeit herrschten, in die Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie. Als sie hier erfolgreich waren, schwärmten sie ab 1880 in ganz Mitteleuropa aus.

Anfänglich fuhren die italienischen Eishersteller mit Eiswagen (Carretti) durch die Stadt. Ab 1894 wurde dieses Wandergewerbe aber auf Druck der Wiener Zuckerbäcker verboten. Sie betrachteten es als unlauteren Wettbewerb, nicht zuletzt, weil die Speiseeishersteller es vorzogen, ihre Wagen vor die Tür der Konditoreien zu stellen und versuchten, Kunden zu stehlen. Aufgrund des Verbots waren die Gelatieri gezwungen, selbst Gassenlokale zu mieten, die sie mit Sitzgelegenheiten und Kerosinlampen ausstatteten: Die Eisdiele war geboren. Übrigens war die Konkurrenz noch nicht zu Ende: Kein Wiener Konditor war bereit, Eistüten zu liefern, also mussten die Gelatieri die selbst herstellen.

Wütende Zuckerbäcker

Das schrecklich kalte und doch schrecklich verführerische Gefrorene“: So nennt das Appetit-Lexikon von 1894 das italienische Fruchteis. Doch schon vor der Ankunft der Gelatieri wurde in Wien Eiscreme hergestellt und gegessen. In ihrem Buch ‚Die Wiener Küche. Kulturgeschichte und Rezepte‘, schreibt die Kulturhistorikerin Ingrid Haslinger, dass im 18. Jahrhundert der Verzehr von Eiscreme oder gefrorenem Wasser (denn lange Zeit war es nicht mehr als gefrorenes Wasser mit Zucker) dem Adel vorbehalten war und dass für dessen Zubereitung speziell ausgebildete Zuckerbäcker benötigt wurden. Kein Wunder also, dass sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlten, als italienische Eishersteller Wien überschwemmten und ihr Beruf im gleichen Zeitraum wegen des sinkenden Zuckerpreises weniger exklusiv wurde. Haslinger entdeckte auch, dass der aktuelle Trend zu extravaganten Geschmacksrichtungen wie Ziegenkäse-Tonkabohnen, mit denen sich einige Eisdielen profilieren wollen, in Wien nichts Neues ist. In einem Kochbuch aus dem Jahr 1827 fand sie bereits Rezepte für Eiscreme aus Bitterorangen, Rosen, gerösteten Mandeln oder Kokosmakronen. Das Rezept für Papina, eine Kreation aus gefrorener Schlagsahne mit Zitronenschale, Zimt und einem Hauch Bergamotteöl, wäre in einer trendigen Eisdiele nicht fehl am Platz.

Unter der gegenwärtigen Generation von Eiscreme-Herstellern in Wien sind immer noch Nachkommen von Migranten aus Norditalien. Oft stellen sie ihre coolen Kreationen noch nach alten, geheimen Familienrezepten her. Darüber hinaus gibt es in der Eismetropole viele Neuankömmlinge und neue Trends. Wie auch immer, ein Besuch in Wien ist nicht vollständig ohne eine Eisverkostung. Deshalb geben wir Lieblingsadressen von uns und den Einwohnern Wiens (die in zahlreichen Umfragen gerne ihre Meinung geben). Alle genannten Speiseeishersteller arbeiten mit frischen (meist biologischen) Zutaten und verwenden keine Geschmacksverstärker, Farb- oder Konservierungsstoffe. Wie in der Vergangenheit wird in der österreichischen Hauptstadt nach wie vor heftig über Eiscreme diskutiert, aber der Kampf findet nicht mehr zwischen Zuckerbäcker und Gelatieri statt, sondern zwischen den Wiener Eiscremeliebhabern. „Das beste Mango-Eis gibt es am Schwedenplatz.“ „Nein, bei Tichy’s.“

Unsere Lieblingsadressen

Eissalon am Schwedenplatz

Wiens älteste erhaltene italienische Eisdiele ist bekannt für ihr cremiges Eis und ihre riesige Auswahl an klassischen und trendigen Geschmacksrichtungen. Ihre Wurzeln reichen bis 1886 zurück, als Arcangelo Molin-Pradel aus dem Zoldotal in Wien mit der Produktion und dem Verkauf von Speiseeis aus einem Eiswagen begann. Im Jahr 1906 eröffneten seine Söhne Giovanni und Eugenio die erste Eisdiele und 1913 begannen sie beide für sich. Der derzeitige Standort – bereits in der fünften Generation – wird von Silvio Molin-Pradel (siehe Foto auf der ersten Seite) und seiner Frau Deborah geleitet. Die Lage am Verkehrsknotenpunkt Schwedenplatz ist gemein verlockend. Man kann hier kaum vorbeigehen, ohne eine (größere) Eiskugel zu kaufen.

Was sollten Sie probieren? Die Tagesspezialitäten wie Kastanien, Feigen, Walnüsse, Walderdbeeren oder Heidelbeeren sind köstlich und exklusiv, weil sie nur dann hergestellt werden, wenn die Früchte oder Nüsse Saison haben.

Wo? 1. Franz-Josef-Kai 17 (hoek Schwedenplatz), gelato.at

Tuchlauben

Die kleine, feine Eisdiele Tuchlauben an der gleichnamigen Straße im Herzen von Wien wurde 1962 von der Familie Perizzolo aus Trient gegründet. Es ist eine beliebte Adresse für jeden, der klassisches italienisches, cremiges und süßes Eis liebt. Die Standardgeschmacksrichtungen wie Malaga, Pistazie und Nougat werden durch saisonale Spezialitäten wie Limette, Blutorange, Melone oder Grapefruit ergänzt.

Was sollten Sie probieren? Dirndleis, hergestellt aus den Kornelkirschen (gelber Kornel, in Österreich auch als Dirndl bekannt): eine rote, längliche Frucht, die nach Sauerkirschen schmeckt.

Wo? 1. Tuchlauben 15, eissalon-tuchlauben.at

Ferrari Gelato Artigianale

Das Ferrari-Gelato-Team mit Samuela Ferrari und Pietro Viscovich

In der Nähe der Wiener Oper eröffneten Samuel Ferrari aus Novara und Pietro Vicovich aus Triest 2014 ihre Eismanufaktur. Ihre Zutaten sind von hoher Qualität, wie z.B. Haselnüsse aus dem Piemont, Mandeln und Zitronen aus Sizilien oder Schokolade aus Belgien. Nur mit Fruchtzucker oder Honig gesüßt. Da das Eis in Pozettis (geschlossenen Töpfen) vor Licht und Luft geschützt ist, trocknet es weniger schnell aus.

Was sollten Sie probieren? Fans schwören auf Crema Lilli (Frischkäse mit Blaubeeren), aber auch das Dolce Samuela (weiße Schokolade mit Haselnusskrokant) ist nicht zu verachten.

Wo? 1. Krugerstraße 9, ferrari-gelato.at

Leones Gelato

Lisa und Giorgio Leone lernten das Handwerk bei den italienischen Gelatieri und eröffneten 2015 ihre kleine, handwerklich geführte Eisdiele in Wien. Obwohl sie etwa fünfzig Sorten Milcheis und Sorbet in ihrem Sortiment haben, stellen sie täglich nur zwölf her: je nach Saison und Verfügbarkeit der Zutaten. Als Mitglieder von Slow Food kaufen sie ihre Zutaten meist von Slow Food-Produzenten und rösten die Nüsse selbst. Sie behalten auch ihr gelato artigianale in Pozetti. Das Eis ist mit Biozucker aus Österreich gesüßt, enthält aber weniger Zucker als üblich um den natürlichen Geschmack der Zutaten zu verstärken.

Was müssen Sie probieren? Das Nusseis des Tages, wie Macadamia, Pekannuss, Pinienkerne, Walnüsse, Cashew und Erdnuss.

Wo? 1. Freisingergasse 1; Lange Gasse 78; Praterstraße 16, leones.at

Zanoni & Zanoni

Im Alter von 26 Jahren verließ Luciano Zanoni (1944-2017) den elterlichen Bauernhof in Norditalien, um 1971 seine erste von drei Eisdielen in Wien zu eröffnen. Allein aufgrund der zentralen Lage finden auch viele Touristen den Weg zu diesem Familienunternehmen. Mit Ausnahme von Eiscreme (Coupes) können Sie dort echten italienischen Kaffee, Frühstück, Kuchen und kleine Snacks und Salate bekommen. Im Gegensatz zu vielen anderen italienischen Eisdielen gibt es bei Zanoni & Zanoni keine Winterpause.

Was sollten Sie probieren? Die Coppa della Casa mit Eiscreme, frischem Obst, Erdbeersaft und Schlagsahne für zwei Personen.

Wo? 1. Lugeck 7; am Graben 19; Burgring 1, zanoni.wien

Eis-Greissler

Zwei Bio-Milchbauern aus Krumbach (Niederösterreich) beschlossen, die lauwarme Sommerzeit – wenn die Kühe auf den Almen grasen – zu nutzen, um ihre Milch zu Eiscreme zu verarbeiten. Im Jahr 2011 eröffneten sie ihre erste Eisdiele in Wien. Sie haben nun zwei Eisdielen in der Hauptstadt und Niederlassungen in vier weiteren österreichischen Städten. Neben den Klassikern gibt es immer wieder extravagante Geschmacksrichtungen wie Rote Bete, Mandel-Curry oder Ziegenkäse.

Was sollten Sie probieren? Das Kürbiskerneis, hergestellt aus den Kernen des österreichischen (steirischen) Ölkürbisses.

Wo? 1. Rotenturmstraße 14; 6. Mariahilferstraße 33, eis-greissler.at

Tichy

Obwohl das Interieur typisch italienisch aussieht, wurde diese Eisdiele, die auf zwei Gebäude verteilt ist, 1952 von den Wienern Kurt und Marianne Tichy gegründet. In der Zwischenzeit steht Sohn Kurt junior an der Spitze des Unternehmens. Die Hauptattraktion sind die vielen Eissorten (über siebzig Sorten) auf der Speisekarte. Besonders beliebt sind die 1967 erfundenen Eis-Marillen-Knödel: patentiert und daher nirgendwo sonst erhältlich. Es ist eine tiefgefrorene Variante des Marillenknödels: ein mit einer frischen Marille gefüllter, gekochter und anschließend panierter Knödel, der in Österreich sowohl als Nachspeise als auch als Hauptgericht gegessen wird. Der Tichy-Teig besteht aus Vanilleeis, die Füllung aus Aprikosenmousse und die Panade aus geriebenen, gerösteten Haselnüssen.

Was sollten Sie probieren? Die Eisknödel. Neben dem Eis-Marillen-Knödel nun auch Himbeer-Eis-Knödel und Topfen-Eis-Knödel.

Wo? 10. Reumannplatz 13 (außerhalb des Zentrums, aber einen Abstecher wert und mit der U-Bahn U1 leicht erreichbar, Haltestelle Reumannplatz), tichy-eis.at

Veganista

Obwohl fast alle Eisdielen in Wien auch veganes Eis herstellen, erwies sich Veganista von den Schwestern Susanna Paller und Cecilia Havmöller als sofortiger Erfolg. Die Tatsache, dass sie seit der Eröffnung der ersten Filiale im Jahr 2016 fünf neue Geschäfte in Wien eröffnen konnten, beweist, dass Milch oder Sahne nicht unbedingt Bestandteil eines guten Eises sein müssen. Die Schwestern verwenden hauptsächlich Sojamilch und Milchersatzprodukte wie Kokosnuss-, Reis- und Mandelmilch. Sie stellen auch Fruchtsorbets und täglich 18 verschiedene Geschmacksrichtungen her: Neben Klassikern wie Schokolade verwenden sie auch ausgeprägte Geschmacksrichtungen wie Gin, Lavendel, Erdnussbutter und Basilikum.

Was sollten Sie probieren? Das Eiscreme-Sandwich INBETWEENER: zwei vegane Kekse mit Eis Ihrer Wahl dazwischen.

Wo? 7. Neustiftgasse 23; 5. Margaretenstraße 51; 9. Alserbachstraße 5; 2. Taborstraße 15; 2. Ungargasse 55; 6. Amerlingstraße 19, veganista.at

Bortolotti

Die Mariahilferstraße ist nicht nur eine der wichtigsten Einkaufsstraßen Wiens, sie ist auch das Reich von Bortolotti mit nicht weniger als vier Eisdielen. Paolo Bortolotti kam in den 1960er Jahren nach Wien und war einer der ersten in der Branche, der damit begann, italienischen Kaffee und Kuchen zu servieren und eine Heizung in seiner Eisdiele installieren ließ, um die Saison zu verlängern. Die Bortolotti-Eiscremebox (0,5-2 Liter) ist bei den Wienerinnen und Wienern beliebt und kann mit Eis zum Verzehr zu Hause gefüllt werden.

Was sollten Sie probieren? Das vegane Eis auf der Basis von Olivenöl, wie z.B. Haselnuss, Pistazie und (dunkler) Schokolade.

Wo? 6. Mariahilfer Straße 22, 66, 94 und 96-98 (im Kaufhaus C&A); 16. Thaliastraße 71, bortolotti.at

Schelato

Der Filmemacher Philipp Blihall und der Modedesigner Luciano Raimondi begannen zum Spaß mit „verrückten“ Eissorten zu experimentieren. Weil sich die Herstellung von Eiscreme als ebenso kreativer Prozess herausstellte wie ihr eigentlicher Beruf, eröffneten sie 2015 Schelato. Ihre unorthodoxen Aromen wurden von einem trendy Publikum so gut aufgenommen, dass sie bereits eine zweite Niederlassung haben. Das Etablissement ist hip und verkauft neben Eiscreme (und Eiscreme-Cocktails) auch Wein, Bier, Gin und Wodka aus Österreich.

Was sollten Sie probieren? Echte ‚out of the box‘-Geschmacksrichtungen wie Matcha, Gurke mit Wasabi, Lakritze oder salzige Brezel.

Wo? 4. Schleifmühlgasse 11; 8. Lerchenfelder Straße 34, schelato.at; facebook.com/schelato

Rathausplatz mit Dreifaltigkeitssäule
Franz Carl Brunnen
Rathaus
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