Wandern

Das Wipptal und seine idyllischen Seitentäler

Text: Emely Nobis / Bild: Frits Roest

Die Seitentäler des Wipptals sind noch so ursprünglich, dass man sich in das Tirol von vor fünfzig Jahren wähnt. Erkunden Sie die unerwartet romantische Region zwischen Innsbruck und dem Brennerpass.

Unzählige Urlauber kommen jedes Jahr auf dem Weg zum Brennerpass durch das Tiroler Wipptal. Sie nehmen die Brenner-Autobahn oder die Brennerstraße neben der Autobahn. Manchmal übernachten sie in einem der vielen Hotels in Matrei, Steinach oder Gries am Brenner, um am nächsten Tag ihre Reise in den Süden fortzusetzen… Wenn Sie diesen Zwischenstopp zu Ihrem Ziel machen, werden Sie angenehm überrascht sein.

Blick ins Wipptal

Blick ins Wipptal © Tirol Werbung

Das Wipptal selbst erscheint wegen der stark befahrenen Durchgangsstraßen auf den ersten Blick vielleicht nicht so attraktiv, aber in den meist in Ost-West-Richtung verlaufenden Seitentälern fühlt man sich wie auf einer Postkarte des Tirols von vor fünfzig Jahren: Imposante Berge, sanfte Hügel, Almen, romantische Dörfer und vor allem eine fast unberührte Natur. Selbst die Brenner-Autobahnbrücke, die sich auf hohen Pfeilern über das Wipptal erhebt, fügt sich – wenn sie überhaupt sichtbar ist – wie ein skulpturales Element in die Idylle ein. Das Ehepaar, das auf dem Rückweg von Italien mit einer Autopanne in unserem Hotel gestrandet war und während des tagelangen Wartens auf Ersatzteile „gezwungen“ war, die Region zu erkunden, brachte es auf den Punkt: „Wenn wir gewusst hätten, wie schön und ruhig es hier ist, wären wir gar nicht weiter nach Italien gefahren.

Bergsteigerdörfer

Sankt Jodok am Brenner

Sankt Jodok am Brenner

Es gibt mehrere Gründe, warum diese Idylle zwischen Innsbruck und Brenner erhalten geblieben ist. Seit Jahrhunderten führt eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen durch das Wipptal über den Pass zum Valle Isarco in Italien und weiter zum Meer. Nach dem Bau einer Eisenbahnlinie dauerte es nicht lange, bis der Schwerverkehr durch das Tal rollte. Als diese auf die Autobahn verlegt wurde, fielen die fünf größten Seitentäler des Wipptals (Navistal, Schmirntal, Valsertal, Obernbergtal und Gschnitztal) in eine Art Dornröschenschlaf. Während anderswo in Tirol der (Massen-)Tourismus als wichtige Einnahmequelle erschlossen wurde, ging man hier einen anderen Weg. Die Einwohner hatten im nahe gelegenen und leicht erreichbaren Innsbruck genug Arbeit. Sie konnten es sich leisten, „unter sich“ zu bleiben. Außerdem ist die Lawinengefahr in den Tälern hoch und ist in vielen „roten Zonen“ das Bauen ohnehin unmöglich.

Gschnitztal

Gschnitztal © Tourismusverband Wipptal

Ein weiterer Schutzwall gegen den Massentourismus wurde errichtet, als St. Jodok zusammen mit dem benachbarten Schmirn- und Valsertal im Jahr 2012 und das Gschnitztal im Jahr 2019 vom Österreichischen Alpenverein offiziell als Bergsteigerdorf anerkannt wurden. Kriterien für die Aufnahme in die illustre Gesellschaft der Bergsteigerdörfer sind unter anderem das Fehlen von großen Ferienanlagen und Skiliften, ein harmonisches und authentisches Dorfbild, eine nachhaltige Naturbewirtschaftung und ein hochwertiges touristisches Angebot für Bergsteiger und Wanderer. Dadurch erhielt der „sanfte Tourismus“ in den Seitentälern einen Aufschwung. Die Einwohner begannen, in kleine Unterkünfte und eine gute, regionale Küche zu investieren. Touristen, die Ruhe suchen und in der Natur aktiv sein wollen, entdecken zunehmend die bisher „versteckten“ Täler.

St. Jodok, Schmirn- und Valsertal

Schmirntal

Schmirntal

Für alle, die sich nicht gleich wie eine Bergziege fühlen… Im Wipptal kann man neben anspruchsvollen Bergtouren auch viele relativ flache Wanderungen machen. Zum Beispiel von St. Jodok aus, benannt nach dem heiligen Judocus. Das Dorf ist der Eingang zum Schmirn- und Valsertal. Für eine gemütliche Wanderung fahren wir von St. Jodok zum Alpengasthof Kasern am Ende des Schmirntals auf 1.600 Meter. Von hier aus führt ein breiter, sanft ansteigender Weg durch den sogenannten Kasern Winkl zum Talschluss: eine herrliche Wanderung zwischen Almen und den Bergriesen der Tuxer Alpen, wie dem Olperer mit seinem markanten, pyramidenartigen Gipfelaufbau und dem Kleinen Kasern als Talabschluss.

Kasern Winkl

Kasern Winkl

Wer mehr Herausforderung sucht, kann auf dieser Route einen Abstecher zum Tuxerjoch (Übergang ins Zillertal) machen, ein letztlich steiler Anstieg, der 790 Höhenmeter überwindet. Wir kehren aber nach anderthalb Stunden Fußmarsch um und gehen denselben Weg zurück. Die graue Kuh (Tiroler Grauvieh), die auf dem Weg nach oben alleine auf einer Wiese wiederkäute, läuft nun wie ein freundlicher Führer voraus. Erst kurz vor dem Alpengasthof Kasern (Kasern 43 in Innerschmirn) trennen sich unsere Wege. Sie schließt sich muhend einer Gruppe Artgenossen an; wir werden verwöhnt mit Rindersülze und Kaspressknödel von Gabriela Eller. Man schmeckt, dass ihr Restaurant den Genussspechte Wipptal angeschlossen ist, einem Zusammenschluss von Produzenten und Gastronomiebetriebe, die Wert auf Qualität und Regionalität legen.

Alpengasthof Kasern

Alpengasthof Kasern

Am Nachmittag fahren wir ins Valsertal. Hier ist die Rundwanderung auf den Padauner Kogel ein beliebtes Ausflugsziel. Einsteigen ist an zwei Stellen möglich. Vom Zentrum von St. Jodok wandert man zunächst entlang des Valser Baches zum Larcherhof im Weiler Padaun auf 1556 Metern. Wer sich die ersten Höhenmeter (und etwa eine Stunde) sparen will, fährt direkt zum Parkplatz beim Larcherhof. Von diesem Hochplateau führt ein gut markierter Weg durch Wälder und Almen zum Gipfel des Padauner Kogels auf 2066 Metern. Oben angekommen, hat man einen weiten Blick auf das Wipptal und das Obernbergtal, den Olperer und den nahen Schrammacher.

Berggasthof Steckholzer

Berggasthof Steckholzer

Dank des relativ kurzen Aufstiegs und der leichten Erreichbarkeit ist die Wanderung auf den Padauner Kogel auch bei Familien beliebt. In der Nähe des Start- und Zielortes ist der Berggasthof Steckhol (Padaun 19 in Vals) eine gute Adresse für einen Urlaub mit Kindern. Das rustikale Bauernhaus, das bereits 1313 erstmals urkundlich erwähnt wurde, verfügt über einen großen Kinderspielplatz und eine Sonnenterrasse. Gekocht wird mit hausgemachten Produkten von diesem Biohof (Schweine, Kühe, Kälber) oder von Bauern aus der Umgebung. Im Restaurant und auf der Terrasse sind natürlich alle willkommen.

Klicken Sie hier für weitere Informationen über das Bergsteigerdorf St. Jodok-Schmirn-Vals und alle Wander- und Klettermöglichkeiten.

Extra Tipp: Sehenswert im Tolderner Ortsteil Schmirn ist die „Obere Schnattermühle“, die einzige erhaltene Getreidemühle Nordtirols. Von der Stockmühle aus führt ein Holzsteg zu einem öffentlich zugänglichen 1.000 m2 großen Kräutergarten mit mehr als 100 verschiedenen Kräutern und Informationstafeln über deren Verwendung.

Gschnitztal

Gschnitztal

Gschnitztal © TVB Wipptal

Das idyllische Gschnitztal, ein westliches Seitental des Wipptals, liegt in den Stubaier Alpen. Fast das gesamte Gebiet des Bergsteigerdorfes ist ein Naturschutzgebiet. Aufgrund des Nebeneinanders von Kalkstein, kristallinem Urgestein und Dolomit weist es eine ungewöhnlich große botanische Artenvielfalt auf. Im Osten wird das Gschnitztal von sanft abfallenden Bergen flankiert, die nach Westen hin höher und schroffer werden.

Wahlfahrtskirche St. Magdalena und Fresco

Wahlfahrtskirche St. Magdalena und Fresco © Wikimedia Commons / Haneburger

480 Meter über dem Talboden, zwischen den Dörfern Trins und Gschnitz, liegt die Wallfahrtskirche St. Magdalena an einem steilen, felsigen Hang. Sie ist nur zu Fuß (und seit 2017 auch über einen Klettersteig) erreichbar und wirkt vielleicht gerade deshalb wie ein Magnet auf Wanderer. Wir parken unser Auto auf dem öffentlichen Parkplatz in Gschnitz, überqueren den Gschnitzbach über eine Brücke und folgen bald einem ziemlich steilen Forstweg (Weg 52) durch den Geigerwald ins Martairtal. Nach diesem steilen Anstieg erreichen wir nach etwa zwei Stunden auf einem etwas flacheren Abschnitt in nördlicher Richtung die romantisch gelegene weiße Kirche mit Panoramablick über das Gschnitztal. Die Fresken im Inneren der Kirche stammen aus dem 15. Jahrhundert. Für hungrige/durstige Wanderer gibt es eine „Jausenstation“. Der Abstieg kann über denselben Weg oder über den Trinser Stationenweg bis etwa 500 Meter nach dem Klettergarten erfolgen. Dort biegen Sie links ins Tal nach Gschnitz ab und folgen dem Verlauf des Gschnitzbaches zum Ausgangspunkt.

Freiluftmuseum Mühlendorf

Freiluftmuseum Mühlendorf

Am Nachmittag steht eine kulturelle Wanderung auf dem Programm. Das Freilichtmuseum Mühlendorf am Fuße des Sandeswasserfalls ist ein Muss in Gschnitz. Mit Hilfe von historischen Vorbildern, traditionellen Handwerkstechniken und altem, gebrauchtem Holz wurden hier alte Getreidemühlen, Schmieden, Handwerkerwerkstätten, Almhütten, Waschmaschinen, Brotbacköfen und eine Kapelle nachgebaut. Regelmäßig werden alte Handwerke vorgeführt, wie das Scheren von Schafen oder das Backen von Bauernbrot. In der Almhütte auf dem Gelände können Sie Getränke und kleine Snacks kaufen.

Auf der Südseite des Mühlendorfes gehen wir zu einer Brücke beim Sandeswasserfall. Von einer Aussichtsplattform aus hat man nicht nur einen guten Blick auf das ganze Mühlendorf. Es ist auch der richtige Ort für Fotos oder Selfies mit dem wilden Wasserfall im Hintergrund.

Das Freilichtmuseum Mühlendorf in Gschnitz ist von Mitte Mai bis Anfang Oktober geöffnet. Gleich neben dem Mühlendorf können Sie im Gasthof Feuerstein zum Mittagessen einkehren.

Klicken Sie hier für weitere Informationen über das Bergsteigerdorf Gschnitz und alle Wander- und Klettermöglichkeiten.

Extra Tipp: Spaß mit Kindern: Ein Besuch auf dem Alpakahof von Renate Mader (Gschnitz 32/2 in Gschnitz). Im Hofladen werden u. a. Decken, Seife, Handschuhe, Mützen, Schals und Socken aus Alpakawolle verkauft. Renate ist auch ausgebildete Tiroler Bergwanderführerin und organisiert Wanderungen mit Alpakas durch das Gschnitztal.

Alpakahof

Alpakahof

Padastertal

Zurück zur Brennerautobahn und zum Dorf Steinach, das bekannteste Feriendorf des Wipptals. Um den Personen- und Güterverkehr über den Brennerpass zu begrenzen und die Unannehmlichkeiten für die Anwohner zu verringern, bauen Italien und Österreich seit 2007 einen 64 km langen Eisenbahntunnel durch den Berg (den Brenner-Basistunnel/BBT). Wenn dieser Tunnel zwischen Innsbruck und Franzensfeste in Südtirol fertiggestellt ist (frühestens 2028), wird sich die Fahrzeit für Passagiere von 80 auf 25 Minuten verkürzen. Auch mehr, längere und schwerere Güterzüge werden auf der Strecke verkehren können.

Bohrkopf

Bohrkopf

Um mehr über das größte Tunnelbauprojekt Europas zu erfahren, gehen wir von unserem Hotel Wilder Mann in Steinach (Brenner Straße 38) zum Museum Tunnelwelten. Vor dem Eingang steht ein riesiger Bohrkopf (8 Meter Durchmesser, 146 Tonnen), mit dem bis zu seiner Außerbetriebnahme wegen Verschleißes täglich durchschnittlich 40 Meter gebohrt wurden. Im Inneren erfahren wir, dass es unter anderem vom Gestein abhängt, ob man sich mit einem solchen Bohrkopf einen Weg durch das Gebirge bahnen kann oder ob der Einsatz von „altmodischem“ Sprengstoff erforderlich ist. Das interaktive Museum, zu dem auch ein Demonstrationstunnel gehört, befasst sich mit allen Aspekten dieses gigantischen Infrastrukturprojekts. Der Inhalt ist sowohl spielerisch als auch technisch, so dass er für alle, von jung bis alt, interessant ist.

Tunnelwelten

Brenner Basis Tunnel – Tunnelwelten © BBT SE

Im Museum erfährt man, dass das beim Vortrieb des Tunnels freiwerdende Material, hauptsächlich Fels und Erde, in einem der kleineren Seitentäler des Wipptals deponiert wird: dem unbewohnten, 1,4 Kilometer langen Padastertal südlich von Steinach. Das mag zunächst dramatisch klingen, aber es ist tatsächlich nachhaltig. Nicht nur, dass das „Abfallmaterial“ nicht über weite Strecken transportiert werden muss, auch das Padastertal selbst profitiert davon. Aufgrund seines tiefen und engen Talbeckens war es für die Landwirtschaft stets ungeeignet. Nach Abschluss aller Arbeiten werden rund 7,5 Millionen Kubikmeter Erde und Gestein aufgeschüttet sein, der Talboden wird 80 Meter höher liegen und alpine Landwirtschaft wird möglich, weil das Tal dann weniger eng ist.

Padastertal

Padastertal

Für Wanderer wurde bereits ein nicht-alltäglicher Panoramaweg rund um das Tal ausgeschildert. Auf dem Rundwanderweg Padastertal können Sie die Bauarbeiten und den Materialtransport im Talboden beobachten. Informationstafeln entlang des Weges geben die nötigen Erklärungen, zum Beispiel über die Umleitung des Padasterbaches während des Tunnelbaus und über die geplante Renaturierung. Auf einigen Abschnitten ist der Weg mit Stahltreppen und Aussichtsplattformen ausgestattet. Ein 500 Meter langer Stollengang wird automatisch beleuchtet, wenn man ihn durchläuft. Fast zurück am Ausgangspunkt führt ein kleiner Umweg zur modernen, dreieckigen Wendelinskapelle, die anstelle einer Kapelle aus dem 19. Jahrhundert errichtet wurde, die an anderer Stelle im Tal abgerissen werden musste. Die Kapelle ist aus natürlichen Materialien aus dem Projektgebiet gebaut, neben Holz auch aus Schiefer aus dem Versorgungstunnel, wodurch das Material vom Brenner-Basistunnel zum Depot im Tal gebracht wird.

Wendelinkapelle

Wendelinkapelle

BBT Tunnelwelten: Alfons-Graber-Weg 1 in Steinach am Brenner, direkt neben dem Bergeralm-Parkplatz und dem modernen JUFA Hotel. Infos: tunnelwelten.com

Der Ausgangspunkt der Padastertal-Rundwanderung ist der kleine Padastertal-Parkplatz. Die Wegbeschreibung und eine Beschreibung der Rundwanderung können Sie hier herunterladen.

Steinach am Brenner

Steinach am Brenner

Extra-Tipp: Direkt neben dem Museum Tunnelwelten in Steinach am Brenner bringt Sie die Seilbahn zum Ski- und Erholungsgebiet Bergeralm. Im Winter können Sie Skifahren, Snowboarden, Schneeschuhwandern und Rodeln, im Sommer Wandern, Radfahren und Gleitschirmfliegen. Kinder können sich in der Wasser- und Erlebniswelt „Bärenbachl“ austoben. Direkt an der Mittelstation können Sie im Restaurant Bärentraum eine ausgezeichnete regionale Küche genießen.

Weitere Tipps und Adressen

Das Wipptal und seine Seitentäler liegen vor dem Brennerpass und sind mit Auto, Bahn, Bus und Flugzeug gut erreichbar. Internationale Bahnhöfe gibt es sowohl in Innsbruck als auch am Brennerpass. Von diesen Bahnhöfen und im Wipptal selbst ist die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in der Gästekarte enthalten, die Sie bei der Anmeldung in Ihrer Unterkunft erhalten. Mehr Informationen zu Anreise und Mobilität im Wipptal: wipptal.at/anreise und wipptal.at/einfach-mobil

Allgemeine Informationen zu Unterkünften, Wanderwegen, Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen im Tourismusbüro: Brennerstraße 104 in Steinach am Brenner, wipptal.at

Ein Urlaub im Wipptal kann gut mit einem Besuch im 20 km entfernten Innsbruck verbunden werden. Lesen Sie hier, was Sie in der Tiroler Landeshauptstadt sehen und unternehmen können.

Schlechtes Wetter im Wipptal? Die Chancen stehen gut, dass auf der italienischen Seite des Brenners die Sonne scheint. Von Steinach am Brenner aus können Sie kulturelle Tagesausflüge nach Brixen oder Sterzing im italienischen Teil des Wipptals in Südtirol unternehmen. Mehr Informationen: wipptal.at/kultur