Kartitsch in Osttirol
Erstes zertifiziertes Winter-Wanderdorf
Text: Emely Nobis / Bild: Frits Roest

Winterwandern in Kartitsch
Winterwandern hat seinen eigenen Reiz. Sobald der erste Schnee die Landschaft weiß färbt und die Umgebungsgeräusche dämpft, entsteht eine fast meditative Atmosphäre – verstärkt durch das rhythmische Knirschen des Schnees unter den Schuhen. Lange Zeit war das Winterwandern der unspektakuläre Clochard des Wintersports. Heute ist es jedoch in Mode gekommen und nach dem Skifahren sogar die zweitwichtigste Aktivität für Urlauber in Tirol.
9 vorbereitete Routen

Kartitsch
Die 800-Einwohner-Gemeinde Kartitsch (Betonung auf der zweiten Silbe) in Osttirol hat das gut verstanden. Im Jahr 2018 war es sogar das erste zertifizierte Winterwanderdorf Österreichs mit neun gut präparierten Routen unterschiedlicher Länge und Schwierigkeit. Vor einigen Jahren stand das Bergdorf Kartitsch vor der Wahl: entweder kräftig in die Modernisierung der Liftanlagen investieren oder einen völlig anderen Weg einschlagen. „Wir sind ein relativ kleines Skigebiet, daher werden wir uns nie unterscheiden können“, sagt Bürgermeister Josef Außerlechner, „Außerdem ist das Interesse am Skifahren ohnehin rückläufig. Die Preise steigen weiter, und wenn es so weitergeht, wird es wieder ein Sport für die Elite werden.“

Übersicht der Winterwanderwege
Aus diesem Grund wurde das Winterwandern als Spezialität ausgewählt. „Wir sind von der Topographie her dafür prädestiniert. Das Gailtal ist das höchstgelegene Tal Osttirols und Kartitsch liegt zwischen 1.356 und 1.535 Metern. Ohne zu viel zu klettern, kann man die Lienzer Dolomiten und die Karnischen Alpen bis nach Italien sehen. Auch ist es hier schneesicher. Zugegeben, auch wir sind vom Klimawandel betroffen und können daher nicht garantieren, dass es immer Schnee auf den Wanderwegen gibt. Was wir jedoch garantieren können, ist, dass Sie überall auf den Berggipfeln und Bäumen Schnee sehen werden. Der Vorteil des Winterwanderns liegt gerade darin, dass die Schneeverhältnisse nicht optimal sein müssen, um die verschneite Landschaft trotzdem genießen zu können.“
Das Winterwandern passt laut Außerlechner auch deshalb zu Kartitsch, weil die Aktivität generell Ruhesuchende anzieht: „Wir haben keine großen Hotels und keinen ausgelassenen Après-Ski. Hier ist es eher ruhig, entspannt und gemütlich.‘
Hollywoodschaukeln

Hollywoodschaukel
Obwohl Kartitsch als Bergsteigerdorf bereits über viele Wanderwege für den Sommertourismus verfügte, waren nicht alle davon für das Winterwandern geeignet. Sie sind oft zu hoch und zu schmal. Die Winterwege müssen breit genut sein für die 2,5 Meter breite Pistenraupe, die den frisch gefallenen Schnee die ganze Saison über präpariert, damit sie mit normale Wanderschuhe gehen können. Um die neuen Trassen ohne allzu große Eingriffe in die Landschaft bauen zu können, mussten nicht weniger als 120 (meist private) Grundstückseigentümer konsultiert und um Erlaubnis gefragt werden. Es mussten auch alle möglichen Einrichtungen geschaffen werden, wie z. B. geschützte, überdachte Picknickplätze und Ruhebänke: So genannten „Hollywood-Schaukeln“ mit Sitzen, die hochklappen, sobald man aufsteht – damit der Schnee nicht darauf liegen bleiben kann.
Die Beschilderung der Wege ist auffallend lila und hebt sich deutlich von den vorhandenen gelben Schildern für die „normalen“ Wanderwege ab. Während der Saison werden alle Strecken regelmäßig auf Hindernisse oder z. B. Mängel in der Beschilderung überprüft. Außerdem müssen sie nach jedem Schneefall neu präpariert werden. Der Dachverband des Osttiroler Tourismus kontrolliert regelmäßig unangemeldet, ob alle Qualitätsanforderungen erfüllt sind. Es ist nicht einfach, das erste zertifizierte Winterwanderdorf Österreichs zu werden, versichert Außerlechner. Es war wirklich eine gigantische Aufgabe.
Schwarz-Weiß-Film

Wallfahrtskirche Mariahilf
Es liegt eine dicke Schicht frischen, fast unberührten Schnees, als wir am Nachmittag unsere Wanderschuhe anziehen und mit Stöcken bewaffnet zu einer ersten Erkundungstour aufbrechen. Der Hollbrucker Rundweg (5,1 Kilometer, 230 Höhenmeter) beginnt am Parkplatz/Busbahnhof bei der Wallfahrtskirche Mariahilf (1680) im Ortsteil Hollbruck. Der Himmel ist strahlend blau und die Sonne scheint, als ob sie beweisen würde, dass Kartitsch mit einer der höchsten Sonnenstundenzahlen Österreichs gesegnet ist. Den lila Wegweisern folgend, kommen wir zunächst an imposanten Bergbauernhöfen und eingezäunten Wiesen vorbei und haben wenig später einen Blick auf die Karnischen Alpen mit den Bergen Demut (2.592 m) und Hochgränten (2.560 m).

Wie ein Schwarz-Weiß-Film
Später wandern wir in einen Fichtenwald, mit freiem Blick auf das Pustertal und das dazwischen liegende Tiroler Gailtal. Die Bäume auf beiden Seiten unseres Weges sehen dank der dicken Schneedecke wie fantastische Skulpturen aus. Auf dem Weg selbst sehen wir Spuren von Tieren. Manchmal laufen wir parallel zu einer Langlaufloipe, aber es gibt viel Platz. In den wenigen Fällen, in denen ein Langläufer unseren Weg kreuzt, kommen wir uns nicht in die Quere. Fast auf der gesamten Strecke werden wir von Vogelgezwitscher und dem Rauschen eines Baches begleitet, der an einer Wassermühle vorbeifließt. Als sich der Himmel verdunkelt (in dieser Nacht wird es noch einmal schneien), verschwinden alle Farben aus der Landschaft und wir fühlen uns wie in einem Schwarz-Weiß-Film: ein unerwarteter Höhepunkt dieser Wanderung. Nach fast drei Stunden frischer Luft und bequemen Gehens über gut verfestigtem Schnee sind wir wieder am Ausgangspunkt.

Rosa Wegweiser
Wie die anderen acht zertifizierten Winterrouten ist auch die Hollbrucker Rundroute so angelegt, dass man maximal einen halben Tag unterwegs ist und immer wieder in einem der beschneiten Weiler der Gemeinde Kartitsch auskommt. Sechs der neun Routen sind Rundwanderungen, die meist an einem Parkplatz oder im Zentrum von Kartitsch beginnen. Alle Strecken haben Bushaltestellen in der Nähe des Start- und Zielpunktes, so dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen sind.
Immer Schichten

Kapelle
Zweimal wöchentlich bietet Kartitsch seinen Gästen die Möglichkeit, einen der Winterwanderwege mit einem Führer zu erwandern. Am nächsten Tag holt uns Jan Salcher ab und begleitet uns auf dem Innerlandweg (6,5 km, 200 Höhenmeter). Er gibt uns zunächst einige Tipps für eine gute Winterwanderausrüstung. Schon am Vortag hatten wir festgestellt, dass wir durch unsere gefütterten Skijacken zu sehr schwitzen und dadurch auskühlen. Laut Jan ist es viel besser, mehrere Schichten übereinander zu tragen und sie aktiv aus- oder anzuziehen, am besten bevor es zu kalt oder zu warm wird. Für ihn ist die Kombination aus Wanderhemd, Fleece und einer winddichten und atmungsaktiven Softshelljacke am besten geeignet. Außerdem hat er immer eine Regenjacke im Rucksack, denn eine Softshell-Jacke schützt nicht vor anhaltendem Regen.

Schneespikes für mehr Halt auf dem Schnee
Unsere Wanderschuhe finden seine Zustimmung, aber er hat Schneespikes mitgebracht: eine Art Überschuhe aus Gummi mit Metallspitzen an der Unterseite, die es uns leichter machen sollen, nicht auszurutschen. Schon beim ersten Aufstieg erweisen sie sich als ideal: Wir haben viel mehr Grip auf dem Schnee als mit unseren Wanderschuhen. Übrigens hat Jan immer lange Kabelbinder in seinem Rucksack, falls sich bei ihm oder einem seiner Gäste eine Schuhsohle löst… Das ist uns schon einmal im Sommerurlaub passiert, also haben wir seitdem auch immer ein Paar im Rucksack dabei.
Bartmoos
Es ist wieder ein heller Tag und der Innerlandweg liegt auf der Sonnenseite des Tals, also tragen wir viel Sonnencreme auf und tragen Sonnenbrillen. Vom Parkplatz im Weiler Rauchenbach wandern wir zunächst relativ flach durch verschneite Wiesen und Wälder. Später, nach einer weiteren Kletterpartie, erreichen wir eine Lichtung. Unten im Tal liegt Kartisch. In der Ferne können wir den Karnischen Höhenweg sehen.

Dank des Führers Jan Salcher nehmen wir unsere Umgebung anders war
Wir stellen fest, dass wir dank unseres Führers mehr sehen, als wenn wir auf eigene Faust losgezogen wären. Jan weist auf die Große Kinigat hin, den höchsten Berg in diesem Teil der Karnischen Alpen, auf dessen Gipfel (2.689 m) sich das Europäische Friedenskreuz mit der Aufschrift Nie wieder Krieg befindet. Er erzählt uns, dass die sechs hölzernen Bienenstöcke, an denen wir vorbeikommen, nicht leer sind. Die Bienen überwintern drinnen. Durch die Bewegung ihrer Flugmuskeln geben sie Körperwärme ab und schaffen es so, die Temperatur im Bienenstock den ganzen Winter über konstant auf mindestens 10 bis 12 °C zu halten. Ein Teil der Bienen (immer eine abwechselnde Gruppe, in einer Art Spiralbewegung) bildet einen isolierenden Mantel um das Bienenvolk.

Bartmoos
Überall um uns herum sehen wir graugrünes Bartmoos, das von der Rinde und den Ästen der Bäume herabhängt. Jan erklärt, dass sie eine Symbiose aus Algen und Pilzen sind. Der Name Bartmoos kommt daher, dass ihre vielen Verästelungen tatsächlich an Vollbärte erinnern. Die Tatsache, dass man hier so viele von ihnen sieht, ist ein Maß für die Reinheit der Luft in dieser Höhe. Theoretisch könnte man sogar einen heilsamen Tee daraus machen, denn Bartmoos enthält eine Substanz, die wie ein natürliches Antibiotikum wirkt.
Gut für das Gleichgewicht

Und ein Bier nach der Wanderung
Nach und nach erhalten wir weitere Tipps und Informationen zum Schneeschuhwandern. Zum Beispiel sind unsere Spikes auf altem Schnee (mit manchmal tückisch rutschigen Schneebrettern unter der Oberfläche) gut geeignet, aber wir sollten sie besser entfernen, wenn es frischen Schnee gibt. Wenn der Schnee frisch ist, bilden die Spikes schnell dicke Klumpen, und es fühlt sich an, als würde man auf Absätzen durch den Schnee laufen: nicht angenehm.
Schneeschuhwandern ist in vielerlei Hinsicht besser für Ihre Fitness als normales Wandern. Es ist gut für Ihren Gleichgewichtssinn (Sie müssen sich mehr anstrengen, um das Gleichgewicht zu halten) und Sie verbrennen mehr Kalorien. Winterwandern verlangt, auch wegen der Kälte, relativ viel von Ihrem Körper und Ihrer Ausdauer. Deshalb sollten die Strecken nicht zu lang sein, und es ist wichtig, genug zu essen und zu trinken (am besten heißen Tee mit etwas Zucker) mitzunehmen, damit die Energie nicht ausgeht.
Wir nehmen uns Zeit für eine ausgiebige Tee- und Snackpause an einem verlassenen Getreidespeicher, in der Sonne und aus den Wind. Als wir nach einem letzten, etwa dreistündigen Abstieg wieder an unserem Ausgangspunkt ankommen, sind wir um einiges klüger geworden und auf den Geschmack gekommen. Winterwandern fühlt sich ein bisschen an wie die Winter vor der Erfindung des Skifahrens: ohne Lift, Skipass und die neueste und schnellste Ausrüstung genießt man die beeindruckende österreichische Bergwelt in aller Einfachheit.
Tipps & Adressen
Allgemein
Kartitsch im Osttiroler Gailtal befindet sich im äußersten Süden Österreichs an der Grenze zu Kärnten und Italien. Mit dem Auto erreicht man die Region, indem man von Kufstein aus der Beschilderung „Felbertauernstraße“ folgt. Der nächstgelegene Flughafen ist Innsbruck (ca. 150 km) und der nächstgelegene Bahnhof ist Lienz (ca. 30 km). Von dort fahren Busse nach Kartitsch. Planen Sie Ihre Route auf: postbus.at
Das Winterwanderdorf (800 Einwohner) ist umgeben von den Lienzer Dolomiten im Norden und den Karnischen Alpen im Süden. Kartitsch ist Teil des Skigebiets Hochpustertal, das sich über Ost- und Südtirol erstreckt. Allgemeine Informationen zu Unterkünften, Gastronomie, Skipässen, Aktivitäten, Veranstaltungen und anderen Wintersportmöglichkeiten im Hochpustertal: osttirol.com
Winterwandern

Die neun zertifizierten Winterwanderwege
Rund um das Winterwanderdorf Kartitsch sind neun zertifizierte Winterwanderwege mit Längen zwischen 2,2 und 10,5 Kilometern und einer maximalen Gehzeit von 5 Stunden markiert. Jede Route (mit lila Wegweisern gekennzeichnet) kann in beide Richtungen begangen werden. Auf den ausgewählten Routen besteht keine Lawinengefahr. Die Wege sind breit und werden während der Saison (Dezember bis April) ständig präpariert und kontrolliert. Darüber hinaus hat jede Strecke ihren eigenen Schwerpunkt. Auf dem Schustertalweg (3,7 km) weisen zum Beispiel Informationstafeln auf die großen Felsbrocken aus der Steinzeit hin, die hier zu sehen sind. Der Winklertalweg (4,3 km) erzählt vom „Heuziehen“: dem Brauch der Bauern, das im Sommer auf den Almen gelagerte Heu beim ersten Schneefall mit dem Schlitten ins Tal zu bringen – als Winterfutter für das Vieh. Ausgangspunkt für die (wöchentlich wechselnden) geführten Wanderungen ist das Tourismusbüro in Kartitsch (Kartitsch 80). Eine Anmeldung ist erforderlich, da die Veranstaltungen nur bei einer Mindestteilnehmerzahl von fünf Personen stattfinden. Schauen Sie einfach im Tourismusbüro vorbei oder rufen Sie +43 50 212 350 an. Weitere Informationen und Reiseangebote: winterwanderdorf.at
Andere Winteraktivitäten
Kartitsch ist ein relativ unbekanntes Skigebiet, das besonders für Anfänger und Familien mit Kindern geeignet ist. Die Pisten (drei Kilometer blaue und ein Kilometer rote Pisten) befinden sich im Ortsteil Dorfberg und sind mit zwei Schleppliften und einem Babylift übersichtlich und einfach. Jeden Donnerstag (und an einigen Dienstagen) findet von 19 bis 21 Uhr ein Abendskilauf auf den beleuchteten Pisten statt, mit Live-Musik und Après-Ski in der Iglu-Bar (buchstäblich in einem Iglu), die jeden Winter neu gebaut wird. Langläufer finden in der Nähe des Dorfbergs auf rund 2000 Metern Höhe eine 10 Kilometer lange Höhenloipe (Rundkurs). Wer möchte, kann sich mit dem Pistenbully oder Skidoo von St. Oswald dorthin bringen und später am Nachmittag wieder abholen lassen. Mehr Informationen zum Wintersport rund um den Kanterlift in Dorfberg: kartitscher-liftgesellschaft.jimdo.com
Die Kartitscher Skischule White Element bietet ein breites Angebot an (Kinder-)Skikursen und organisiert geführte Snowboard-, Freeride-, Skitouren-, Langlauf- und Schneeschuhkurse. white-element.at
In Kartitsch gibt es zwei Rodelbahnen: die Bärenlochbahn (1 km, 100 m Höhenunterschied) und die Seelandbahn (2 km, 250 m Höhenunterschied). Eisstockschießen kann man auch auf der beleuchteten Eisbahn im Sport- und Freizeitzentrum am Beginn des Winklertals.
Übernachtungen & Gastronomie

Hotel Schöne Aussicht
Die sogenannten Zertifizierten Winterwander-Betriebe sind auf Winterwanderer spezialisiert. Die Gastgeber können Ihnen nicht nur Tipps geben, sondern stellen Ihnen auch eine kostenlose Thermoskanne mit Tee zur Verfügung und leihen Ihnen auf Wunsch Rucksäcke, Wanderstöcke und Matten. Mit der Gästekarte des Hotels oder der Pension sind die öffentlichen Verkehrsmittel in und um Kartitsch kostenlos. Sie können auch Jausen-Gutscheine erhalten, mit denen Sie in den Restaurants entlang der Strecke essen können. Weitere Informationen und Buchung von Unterkünften: winterwanderdorf.at
In der Umgebung
Lienz
Von Kartitsch aus können Sie mehrere Ausflüge in die Umgebung unternehmen. Lienz ist nur etwa 30 Kilometer entfernt. Noch näher (etwa 10 Kilometer) liegt Sillian, direkt an der italienischen Grenze. Dort kann man bei Pichler-Schokoladen, aus mehr als 150 Sorten handgeschöpfter Schokolade wählen und mit etwas Glück der Konditorin Desiree Pichler bei der Arbeit über die Schulter schauen.
